II Woche der Fastenzeit – Montag
Die Barmherzigkeit von Livia
Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden. Lk 6,36-38
Livia ist eine Frau mit sechzig Jahre, die wir jeden Morgen an der ersten in der Wallfahrtskirche in Saronno zelebrierten Messe treffen. Sie ist winzig, vielleicht wiegt sie kaum vierzig Kilos. Sie leitet eine kleine Wascherei und damit verdient sie, was bescheiden aber würdig zu leben. Sie ist eine fröhliche und immer lächelnde Frau, aber heute Morgen, als wir uns bei ihr gehalten haben, um die Hosen und Hemde, die sie uns vorbereitet hatte, abzuholen, sah sie ein wenig gebrochen aus. „Entschuldigen Sie mich – sagte sie uns – heute bin ich traurig, denn gestern wurde ich weggerissen. Zwei Jungen haben mich gestoßen und zu Boden geworfen, dann sind sie mit meiner Tasche, wo ich mein Geld, Ausweise, Haus- und Geschäftsschlüssel hatte, weggelaufen“ Dann schüttelte sie den Kopf und mit tief bekümmerter Stimme fügte sie hinzu: „Sie sind arme Teufel!“.
Sie hätte mehr und etwas schlechteres sagen können, aber während jenes kleinen Ausbruchs, den sie sich erlaubte, hat sie nur gesagt, dass sie „arme Teufel“ sind. In jenem Ausdruck gab es die Zusammenfassung aller seiner Gedanken und Gefühle: „Wer weiß, woher sie kommen? Was für eine Kindheit haben sie gehabt? Warum solche Jungen gekommen sind, so zu leben? Was für eine Zukunft können sie haben?“. Im Ausdruck „armen Teufeln“ gab es das alles und viel mehr. Wenn wir heute diese Stelle des Evangeliums nachgedacht haben, bemerkten wir, dass Frau Livia mit dem Satz „Sie sind arme Teufel“ uns erklärt hatte, was die Barmherzigkeit, das nicht Beurteilen und das Verzeihen sind. Jener Satz bedeutete: „Herr, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.